Die Geschichte des Chores der SOSAT
Die Geschichte des Chores der SOSAT
Der Chor der Berge – die Stimme einer Geschichte und einer Tradition, die nicht in Büchern erfassbar sind.
1900
Viele von uns haben die Geschichte des Trentino, unsere Geschichte, durch die Lieder erfahren und unser Herz hat sie aufgenommen bevor der Kopf sie erfasste. Es waren unsere Väter und Großväter, die uns in den Liedern, die sie sangen, Dinge vermittelten, die nicht in den Büchern stehen. Denn die Tradition kann man nicht einfach in Worte fassen: sie ist viel weiter gespannt, sie berührt unsere innersten und tiefsten Seiten und bringt diese immer wieder zum Schwingen.
1904
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren wir noch Österreicher und der SOSAT-Chor war noch nicht gegründet wordet. Vielleicht existierte er bereits als Ungeborene im Schoss des Vereins Armonia, in dem einige zukünftige Choristen Mandoline und Gitarre spielten und der in den Zwanziger Jahren zur größten Laienspielgruppe der Stadt wurde.
Den Volksgesang gab es natürlich bereits vor der Entstehung des SOSAT-Chores. Aber es war dieser Chor, der von Anfang an einer Tradition und einer Geschichte Ausdruck verliehen hat, die kein Buch enthalten kann. Nicht nur eine Geschichte, vielmehr ein Universum von Mikrogeschichten, die unsere Vergangenheit bevölkern und anderweitig zum Schweigen verurteilt gewesen wären.
1921
Nichts entsteht aus dem Nichts: jede Geburt hat einen Grund. Seit 1921 gab es die Arbeitersektion des Trientiner Alpenvereins (SOSAT): dieser Verein hatte sich erstmals das Ziel gesetzt, auch den einfachen Menschen die Berge näherzubringen und sie singend zu erwandern. Bis dahin waren die Berge ein Ziel für eine kleine Elite aristokratischer Forscher gewesen, aber nun standen sie auch den breiteren Volkschichten offen. Diese soziale und politische Intuition ist Nino Peterlongo zu verdanken und sie wird in Zukunft die Bevölkerung des Trentino prägen.
1923
Es wird erzählt, dass einige Jahre zuvor ein gewisser Tullio Antoniutti in der Werkstatt der Gewerbeschule auf dem Corso Buonarroti das Lied vom Piave pfiff und dass auf der anderen Seite der Klasse jemand, nämlich Mario Pedrotti, antwortete.
Zu Tullio und Mario gesellten sich Enrico, der Bruder Marios und Riccardo Urbani, Tullios Freund. Sie musizierten gemeinsam. Dieser Embryo des Chores versammelte sich im zweiten Stockwerk des Hauses Nr. 8 des Vicolo Gaudenti: es war das Haus der Pedrotti. Die vier Freunden trafen sich zusammen, um Gitarre und Mandoline zu spielen und eines Tages versuchten sie, die Melodien der Volkslieder, die sie spielten, zu singen. Aber was bedeutet es, zusammen zu singen? Es bedeutet vor allem, sich zu erkennen.
Zu ihnen gesellten sich weitere Freunde: Renato und Giuseppe Jung, Leo Seiser, Giuseppe Ranzi, Bruno Pasini und andere.
1926
1927
Der hohe künstlerische Wert dieses Gesangs zieht jedoch bald die Aufmerksamkeit bedeutender Künstler der musikalischen Szene auf sich. Das Schicksal hat dem SOSAT-Chor Begegnungen mit Musikerfreunden wie Luigi Pigarelli und Antonio Pedrotti bestimmt, die ihrerseits dieses Volksliedgut der Berge mit einem Repertoire von Liedern und Harmonisierungen bereichern werden, das in die Geschichte eingehen wird.
Die Seele des Chores war in erster Linie eine Volksseele und der Garant jener Seele war eben Nino, Nino Peterlongo. Er war es, dem Toni Ortelli im Jahre 1927 die Melodie und den Text des Liedes der Berge “La Montanara” übermittelte.
1931
1933-1938
Aufgrund seiner Erfolge werden 1933 die ersten neun Lieder des Chores auf Schallplatten aufgenommen, weitere fünf Aufzeichnungen folgen in den Jahren zwischen 1935 und 1937. Zahlreiche Konzerte von hohem musikalischen und künstlerischem Wert finden in den bedeutendsten italienischen Theatern statt.
1938
Im Jahre 1938, nach Verabschiedung der Sondergesetze, wird die Bezeichnung SOSAT aufgrund ihres Adjektivs “Operaio – Arbeiter” nicht mehr erlaubt. Der Chor setzt seine Tätigkeit unter dem Namen “Chor der SAT” fort. Auf diese Weise tritt auch sein Mutterverein, der Trentiner Alpenverein, der seit dem Jahre 1926 die Gründung des ersten Bergsteigerchores mit Interesse verfolgt und ermutigt hatte, in die Geschichte des Chorgesangs der Berge ein. Die Geschehnisse der Faschismuszeit prägen demnach auch die Geschichte des Berggesangs und zwingen den ersten Bergsteigerchor dazu, seinen Namen von SOSAT in SAT abzuändern. Es gibt jedoch viele Zeugnisse, die belegen, dass damals im Trentino viele den Chor weiterhin bei seinem alten Namen “Coro della SOSAT” nannten, zumindest bis zum Jahr 1941, als der Chor infolge der Einberufung vieler seiner Mitglieder seine Tätigkeit völlig einstellte.
Es besteht demnach eine Kontinuität zwischen dem ersten SOSAT-Chor und dem SAT-Chor, eine Kontinuität, die sich aus einzelnen Geschichten von Männern nährt, für die die Liebe zum Gesang stärker als die institutionellen Schwierigkeiten war, mit denen die SOSAT zu kämpfen hatte.
1945
Diese Geste hat sowohl eine gesellschaftliche als auch politische Bedeutung. Die soziale und solidarische Idee, die die Gründung der SOSAT im Jahre 1921 und ihres Chores im Jahre 1926 inspirierte, findet wieder Eingang in eine Zivilgesellschaft, die sich ihre Traditionen wieder zueigen machen und erneut Vertrauen in ihre Herkunft und ihre Geschichte gewinnen will. Die Seele dieser Geschichte war von Nino Peterlongo verkörpert worden. Franco Sartori ist der Leiter dieses neuen Chores, der neben neuen Sängern auch alte Choristen, die einst im ersten SOSAT-Chor gesungen hatten, aufnimmt. Das Haus in der Via Malpaga wird bis zum heutigen Tag Sitz des Chores bleiben. Unter der Leitung von Franco Sartori findet der Chor seine typische spontane Gesangsweise, die ihn noch heute auszeichnet, wieder. Sie wird ihm sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene bedeutende Erfolge bescheren.
Im Dezember 1945, nach endgültigem Abschluss des Kriegsgeschehens, nehmen auch die vier Gebrüder Pedrotti (Mario, Enrico, Silvio und Aldo) die Tätigkeit ihres Chores unter der Bezeichnung “Coro della SAT” wieder auf.
1950-1960
Diese Jahre sind ausschlaggebend für den Werdegang des Chores, dem die großen musikalischen Fähigkeiten von Franco Sartori, ein wahrer Bezugspunkt unserer künstlerischen Geschichte, neuen Auftrieb verleiht. In dieser Zeit werden zahlreiche Schallplatten für die Columbia aufgenommen und eine Reihe von sehr erfolgreichen Konzerten durchgeführt, unter denen der denkwürdige Auftritt im städtischen Theater von Bologna besonderer Erwähnung bedarf.
1960-1980
Im Jahre 1964 wird die erst Langspielplatte bei der Firma Ariola auf europäischer Ebene und für Cetra in Italien aufgenommen. Die Zusammenarbeit mit Experten wie Luciano Fumai bei der Harmonisierung der Lieder führt den Chor zu einer größeren musikalischen Reife.
1980-1990
Unter den Musikern, die den künstlerischen Werdegang des Chores kennzeichnen, verdient auch Camillo Dorigatti eine besondere Erwähnung. Nachdem er jahrelang als Bariton im Chor gesungen hat, löst er im Jahre 1980 Giuseppe “Bepi” Fronza in der Chorleitung ab. Während seiner Tätigkeit komponiert und harmonisiert er einige “Meilensteine” des Repertoires der SOSAT, darunter auch einige besonders gelungene Lieder aus der russischen Volksmusik. Sein plötzlicher und früher Tod im Jahre 1987 hinterläßt eine große Leere, aber auch ein bedeutendes musikalisches Erbe.
1990-2010
Diese sind die Jahre der Festigung und Bekräftigung des musikalischen Erbes des gesamten vergangenen Jahrhunderts, ein Repertoire, das in Luigi Pigarelli und Antonio Pedrotti seine Wurzeln hatte und durch den bedeutenden Beitrag von Franco Sartori und die Harmonisierungen von Luciano Fumai und Camillo Dorigatti – nur um einige zu nennen – bereichert wurde. Die Leitung des Chores wird in jenen Jahren von Paolo Tasin übernommen, der ihn bis zum Jahre 2011 dirigieren wird.
Bis zum Jahre 2010 kann der Chor auf fast zweitausend Konzerte in Italien, Europa und in den Vereinigten Staaten und Südamerika zurückblicken. Dazu kommen einige musikalische Publikationen sowie die Aufzeichnung zahlreicher Schallplatten, CD und DVD bei italienischen und internationalen Firmen.
2011 –
Ab Beginn des Jahres 2011 übernimmt ein junger Dirigent, Roberto Garniga, die Leitung des Chores. Sein Ziel ist es, die einstige typische Stimmhaftigkeit und den Klang des Berggesangs wieder zu entdecken, die sich während der Jahre verändert haben. Dem ästethischen Ideal der Bergchöre, die eine formelle Perfektion anstrebten, fiel oft jene bewusste Spontaneität, die den ersten SOSAT-Chor auszeichnete, zum Opfer.
Jener erste Chor ist nun zum kulturellen Erbe aller geworden, wie die Berge, in denen er entstanden ist und die nunmehr zum von der Unesco geschützten Weltkulturerbe gehören. Dieser Schutz ist nun auch für den im Jahre 1926 im Trentino durch die SOSAT entstandenen Volksgesang der Berge beantragt worden.